Der Bauer und der Drache (Ciruelo Cabral)

Eines Tages wurde ein Drache auf seinem Heimflug von einem schlimmen Sturm überrascht. Der Wind heulte, und der Regen kam mit einer solchen Wucht hernieder, daß selbst die stämmigsten Eichen entwurzelt und wie Strohhalme geknickt wurden. Trotz seiner enormen Größe wurde der Drache in alle Richtungen geschleudert und verlor in der Dunkelheit die Orientierung. Verzweifelt versuchte er immer wieder, gegen den Sturm anzukämpfen, doch zuletzt fiel er erschöpft zu boden.
Während er so bewußtlos im Schlamm lag, kam ein Bauer aus einer kleinen Hütte in der Nähe des Weges. Als der Bauer, der Lukas hieß, das Ungeheuer erblickte, das wie tot am Boden lag, tat es ihm sogar ein wenig leid. Er näherte sich dem bewegungslosen Körper und stellte fest, daß der Drache noch immer am Leben war. Mit der Hilfe seines Pferdes schaffte er den Drachen zu einer alten Scheune. Dort legte er den Drachen vorsichtig nieder und bedeckte ihn mit einem geflickten Laken, dann rannte er nach Hause und bat seine Frau, etwas zu Essen vorzubereiten. Sie war sehr besorgt:“Du bist wohl verrückt, einem solchen Ungeheuer Nahrung und Schutz zu gewähren. Er wäre besser, es zu töten, der König würde uns für seine Haut belohnen.“- „Sei still, Frau“, entgegnete Lukas, „der Drache ist schwach und krank. Es wäre unchristlich, einem Bedürftigen Hilfe zu verweigern, egal welcher Rasse er auch angehören mag.“ „Sei doch nicht dumm, Mann“, rief die Bauersfrau,“ diese Kreatur ist weder Christ noch Mensch, sie wird dich fressen, sobald es ihr besser geht.“ Ohne auf die Warnung seiner Frau zu achten, machte sich der Bauer daran, den Drachen zu pflegen und zu füttern. Seine Bemühungen trugen bald Früchte, der Drache erholte sich und dankte dem Mann für die Rettung. „Es gibt nichts, wofür du dich bedanken müßtest“, sagte der gute Mann, „wir sind alle Gottes Geschöpfe.“ – „Dennoch hätten mich viele Menschen in deiner Lage getötet und meine wertvolle Haut verkauft.“ „Jeder, der aus dem Unglück anderer Vorteile zieht, ist böse. Ein solches Verhalten wäre eines Ritters unwürdig.“
Als die Bauersfrau, die an der Türe gelauscht hatte, die Worte ihres Mannes vernahm, mußte sie laut lachen. „Seht euch diesen Narren an, der sich selbst die Ritterwürde verleiht, obwohl er ein Almosenempfänger ist!“ kicherte sie in ihrem Versteck. „Du wirst anders reden, wenn die Steuereintreiber kommen und dir dein Pferd nehmen, schließlich haben wir unsere Steuern nicht bezahlt.“ „Es ist Ehre und nicht Reichtum, die einen Mann zum Ritter macht“, entgegnete Lukas mit leiser Stimme. Da der Drache das Gespräch mitangehört und die Armut des Bauern erkannt hatte, bot er ihm eine Belohnung für seine Mühen an. „Ich könnte kein Geld ablehnen, denn der Steuereintreiber wird bald erscheinen, und ich habe nichts, womit ich ihn bezahlen könnte. Doch das war nicht der Grund, aus dem ich dir geholfen habe, mein Freund.“ „Das weiß ich wohl, doch ich bin nun kräftig genug, um Heim fliegen zu können. Komm mit in meine Höhle und such dir aus, was immer dir gefallen mag.“ Obwohl ihn seine Frau bat, nicht zu gehen, stieg Lukas furchtlos auf den Rücken des Drachen. „Wenn du mitten im Wald bist, wird er dich fressen, und ich werde hier allein sein!“ jammerte sie.
Der Drache aber schaffte den Bauern in seine Höhle und bewirtete ihn für drei Tage. Als es für den Bauern Zeit zur Heimkehr wurde, lud sich der Drache einen großen Sack voller Gold und Edelsteine auf den Rücken und brachte den Bauern zu seiner Hütte zurück. „Du kannst zu mir kommen, wann immer es dir schlecht geht“, sagte der Drache zum Abschied.
Lukas fand seine Frau klagend und in Trauerkleider vor, sie hielt ihren Mann für tot. Von den Geschenken des Drachen konnten sich die Bauersleute einen schönen Hof mit vielen Tieren leisten, doch die Frau wurde mit der Zeit immer verschwenderischer. Eines Tages sagte sie zu ihrem Mann:“Wenn wir nur etwas mehr Geld hätten, könnten wir gutes Land erwerben und andere darauf arbeiten lassen. Dann könnten wir einen Sohn haben, der Ritter werden könnte. Warum fragst du nicht den Drachen nach etwas mehr Gold?“ Lukas weigerte sich zunächst, doch dann gab er nach und ging zum Drachen. Dieser hielt das Anliegen für berechtigt und war froh, seinem Freund ein weiteres Mal helfen zu können. Doch es verging kaum ein Jahr, da hörte man von der Frau:“Wenn wir uns ein Schloß und ein paar Ortschaften leisten könnten, würde man uns bestimmt zu Grafen ernennen.“ Lukas war das Nörgeln seiner Frau schnell leid und ging wieder zur Höhle des Drachen. Das Paar erhielt eine Grafschaft. Wenig später wünschte sich die Frau, bei Hofe zu leben. Eines Tages sah die neue Herzogin, wie die Königin in ihrer goldenen Kutsche vorfuhr, gekleidet in Samt und Seide und mit den kostbarsten Juwelen geschmückt. Ihre Augen glänzten Vor Neid und Gier, sie sagte:“Mein lieber Lukas, ich habe mir Gedanken gemacht. Wenn wir einen Sohn hätten und es wäre Krieg, dann müßte er als Offizier an die Front und könnte in der Schlacht fallen. Es wäre viel besser, wenn wir Monarchen wären, dann wäre unser Sohn nicht in Gefahr. Dein Freund der Drache wird uns sicher diesen Wunsch erfüllen.“ „Frau, rede keinen Unsinn!“ schimpfte Lukas, doch seine Frau weinte und bedrängte ihn, bis er wieder den Drachen besuchen ging, der ihn freundlich empfing.
„Freund“, sagte der Drache, nachdem er sich die Geschichte angehört hatte, „deine Frau ist zu ehrgeizig. Sie wird niemals genug bekommen und immer noch mehr wünschen. Aber ich weiß eine Lösung, komm in meine Höhle.“ Der Drache führte seinen Gast in einen gemütlichen Raum, wo wunderhübsche junge Frauen tanzten und sangen. „Nun bist du mein Gefangener. Diese Mädchen werden die Gesellschaft leisten und dafür sorgen, daß jeder deiner Wünsche erfüllt wird, denn sie sind meine Sklavinnen. Du wirst aber niemals in der Lage sein, die Höhle anders als in meiner Begleitung zu verlassen, und du wirst nie zu deiner Frau zurückkehren können.“ Von nun an lebte der brave Mann glücklich mit dem Drachen und seinen Gespielinnen. Lukas Frau aber mußte sich in Trauer kleiden, denn sie nahm an, daß ihr Gatte nun doch noch vom Drachen gefressen worden wäre.

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